Interview mit Platon

Interview mit Platon

Der altgriechische Philosoph ist eine der einflussreichsten Persönlichkeiten der Geistesgeschichte. Als Schriftsteller und Staatstheoretiker beeinflusste er das gesamte abendländische Denken. Im folgenden fiktiven Interview spricht er über seine Philosophie und über unsere Zeit.

Platon stammte aus einem der vornehmsten Geschlechter Athens. Im Jahr 427 v. Chr. als Sohn des Ariston und der Periktione geboren, verfasste er bereits in seiner frühesten Jugend Tragödien und beschäftigte sich mit Politik. Sein Interesse an der Philosophie wurde durch Sokrates geweckt, dessen Schüler er acht Jahre lang war.
Nach dem Tod von Sokrates begab sich Platon wie andere sokratische Schüler zu Euklid nach Megara und dann weiter nach Kyrene und Ägypten, um neue Erkenntnisse zu gewinnen. Bald aber kehrte er nach Athen zurück und eröffnete mit seinen ersten Werken den Kampf gegen das Erziehungsideal seiner Zeit. Damit gewann er begeisterte Anhänger, mit denen er sich vom öffentlichen Leben zurückzog, um sich den Wissenschaften zu widmen.
Seine wissenschaftlichen Studien führten ihn auch nach Italien, wo er die pythagoreische Lehre kennenlernte, die sein weiteres Denken stark beeinflusste. Er fand Aufnahme am Hof des Tyrannen von Syrakus, der ihn jedoch später wegen seiner Ansichten als Sklaven verkauft haben soll. Nachdem er von einem seiner Schüler losgekauft worden war, kehrte er nach Athen zurück, wo er die „Platonische Akademie“ gründete, die älteste Philosophenschule Griechenlands. Er starb im Jahr 347 vor Christus in Athen.
Mit Platon begann die Hochblüte der griechischen Philosophie. Zahlreiche jüdische, christliche und islamische Philosophen wurden von seinem geistigen Erbe inspiriert. Besonders seine Ideenlehre und seine Theorie vom idealen Staat beeinflussen bis heute das Denken der Menschen. Was hätte uns Platon wohl heute zu sagen?

Ihre Schriften über den „idealen Staat“ sind uns heute noch ein Begriff. Können Sie Ihre Idee vom idealen Staat kurz erklären?

Darin habe ich meine Theorie von einem Gemeinwesen als Ständestaat in Form eines Gesprächs zwischen Sokrates und meinen beiden Brüdern, Glaukon und Adeimantos, entwickelt. Es geht dabei um meine Vision, wie ein Gemeinwesen im Staat am besten funktionieren könnte. Hierfür gliedere ich die Bevölkerung in drei Schichten: die Arbeitenden, also die Bauern und Handwerker, die Krieger, die den Staat schützen, und die Herrschenden. Diesen drei Gruppen ist jeweils eine Kardinaltugend zugeordnet: Den Arbeitenden die Besonnenheit, den Kriegern die Tapferkeit und den Herrschenden die Weisheit. Über allem steht die Kardinaltugend der Gerechtigkeit.

Der Ständestaat gehört der Vergangenheit an und man kann kaum sagen, dass unsere Politiker besonders weise sind. Sollten Politiker nicht auch andere Qualitäten haben?

Wenn Philosophen die Herrscher wären oder die derzeitigen Herrscher zu Philosophen würden, gäbe es mehr Weisheit und Gerechtigkeit auf dieser Welt. Es ist mir jedoch durchaus bewusst, dass es sich bei meinen Schriften um ein Ideenkonstrukt handelt. Ich stelle damit keinen Plan auf, der verwirklicht werden sollte. Im Prinzip geht es aber immer nur um Ideen, denn diese haben eine eigene Wirklichkeit.

Damit wären wir bei Ihrer Ideenlehre, die über Jahrtausende hinweg bis heute nicht nur die Philosophie, sondern auch die Religionen beeinflusst hat. Was wollen Sie damit aussagen?

Ideen sind nicht mit unseren Sinnen wahrnehmbar, stellen jedoch in Wirklichkeit die Welt dar. Die Dinge haben einen bestimmten Platz, sie bestehen aber in reiner Form, nicht in der realen Welt. Sie existieren unabhängig davon, ob sie aus Materie bestehen oder nicht. Die Wahrheit, das Schöne, das Gute sowie die vier Kardinaltugenden existieren, aber eben nicht als materielle Dinge, sondern rein metaphysisch. Aus diesen geistigen Urbildern werden dann in der Realität Abbilder geformt.

Hat die Ideenlehre eine Bedeutung für unser reales Leben?

Würden sich die Menschen mehr für die Ideenlehre interessieren als für ihre leiblichen Bedürfnisse, sähe die Welt anders aus. Das gilt besonders für die Politik. Die Herrschenden aller Zeiten haben sich immer nur für Macht und Reichtum interessiert. Daran hat sich bis in die Gegenwart nichts geändert. Ist es da verwunderlich, dass auch die Allgemeinheit ethisches Denken und Verhalten immer geringer schätzt? Das Problem beginnt schon in den Schulen. Die jungen Menschen werden technisch und kaufmännisch gebildet und lernen, wie man einen Computer bedient, aber die Philosophie wird völlig vernachlässigt. Bestenfalls werden einige philosophische Richtungen in Kurzform durchgegangen und wieder ad acta gelegt. Das war zu meiner Zeit anders. Da setzte sich die Jugend mit den Strömungen der Geisteswelt auseinander und in den Schulen beschäftigte man sich mit den verschiedensten philosophischen Richtungen. Ich frage mich, auf welchen Werten die Gesellschaft heute basiert. Man twittert und konsumiert, aber es wird nicht nachgedacht, nicht philosophiert. Es gibt keine Ideale, keine ethischen Ziele. Man verwechselt sogar Liebe mit sexuellem Verlangen!

Apropos: Wir sprechen von „platonischer Liebe“, wenn Mann und Frau kein sexuelles Interesse aneinander haben. Wird das richtig interpretiert?

Was im modernen Sprachgebrauch unter „platonischer Liebe“ verstanden wird, hat mit meinem Denkmodell wenig oder gar nichts zu tun. Es ist aber bezeichnend für eine Zeit, in der Sex zur Pornografie herabgewürdigt wird. Ich habe gesagt, dass sich die sinnliche Liebe ohne seelisches Empfinden nicht entfalten kann. Dazu gehören geistige Wesensgleichheit und gegenseitiges Verstehen. Erfüllte Liebe ist nur dann möglich, wenn das leidenschaftliche Begehren von einem tiefen Empfinden für das geliebte Wesen begleitet wird. Wer sich nur den sexuellen Freuden hingibt, wird nie die Erfüllung in der Liebe finden …

Haben Sie noch einen Schlusssatz für uns?

Ihr lebt in einer gefährlichen Zeit: Der Mensch ist in der Lage, die Natur zu beherrschen, hat aber noch immer nicht gelernt, sich selbst zu beherrschen …

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